Stichtage im Scheidungsrecht: Welche Richtlinien bzw. Stichdaten gelten in einer Scheidung bei der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung, bei der Aufteilung des Vermögens und bei der Teilung der Pensionskasse?

Im Scheidungsrecht wurden zuletzt einige Richtlinien und Stichtage «abgeschafft» bzw. geändert. So war beispielsweise viel davon zu lesen, dass die 10/16-Regel durch das Schulstufenmodell oder eine 6/12/16-Regel ersetzt worden sei. Ebenso war vielerorts von der Vorverlegung des Stichtages für den Vorsorgeausgleich die Rede, welcher mit jenem für das Güterrecht «koordiniert» worden sei.

Dabei ist es nicht immer leicht, den Überblick zu behalten. Wir fassen nachfolgend die wichtigsten «Stichtage» im Scheidungsrecht kurz zusammen:

1. Stichdaten bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (Unterhalt)

Bei der Frage, was für ein Arbeitspensum neben Kinderbetreuungspflichten zumutbar sein soll, orientierte sich das Bundesgericht früher an der 10/16-Regel (bis zum 10. Altersjahr eines Kindes musste keine Erwerbstätigkeit aufgenommen werden; danach war bis zum 16. Altersjahr des Kindes eine solche von 50 % und anschliessend von 100 % zumutbar).

Das Bundesgericht hat in seinem Entscheid 5A_384/2018 vom 21. September 2018 (BGE 144 III 481) diese 10/16-Regel aufgehoben und durch das sogenannte Schulstufenmodell ersetzt. Deren Aussagen lassen sich etwas vereinfacht wie folgt darstellen:

  • Ab Geburt bis zur obligatorischen Beschulung des jüngsten Kindes (Kindergarten/Primarschule):
    Keine Berufstätigkeit
  • Eintritt obligatorisch Schule (Kindergarten/Primarschule) bis Ende Unterstufe des jüngsten Kindes
    50 % Berufstätigkeit
  • Beginn Oberstufe / Sekundarstufe I bis Vollendung 16. Altersjahr des jüngsten Kindes:
    80 % Berufstätigkeit
  • Nach Vollendung 16. Altersjahr des jüngsten Kindes:
    100 % Berufstätigkeit

Das Schulstufenmodell dient lediglich als Richtlinie, von der im Einzelfall abgewichen werden kann. Nähere und detaillierte Informationen zum Schulstufenmodell sind in unserem Blog-Beitrag vom 27.10.2019 zusammengefasst.

2. Stichtage bei der Teilung der beruflichen Vorsorge (Vorsorgeausgleich)

Hier geht es um die Teilung der beruflichen Vorsorge bzw. Pensionskassenguthaben. Bei einer Scheidung werden diese grundsätzlich hälftig zwischen den Ehegatten geteilt.

Geteilt wird jeweils derjenige Teil der Pensionskassenguthaben, den ein Ehegatte in der Zeit zwischen Heirat und Einleitung des Scheidungsverfahrens angespart hat. In diesem Zeitpunkt hat das Gesetz am 1. Januar 2017 geändert (vgl. dazu unser Blog-Beitrag vom 22.5.2019)

Zu ermitteln ist also die Höhe des Pensionskassenguthabens in zwei Zeitpunkten:

  • Heirat
  • Einleitung des Scheidungsverfahrens
    (Einreichung der Scheidungsklage bzw. des gemeinsamen Scheidungsbegehrens ans Gericht)

Bei der Ermittlung dieser Guthaben hat die jeweilige Pensionskasse die nötigen Informationen zu liefern.

3. Stichtage bei der vermögensrechtliche Aufteilung (Güterrecht)

Beim sogenannten Güterrecht geht es um die Aufteilung des Vermögens zwischen den Eheleuten. Nach welchen Regeln diese Aufteilung erfolgt, hängt davon ab, welcher «Güterstand» zwischen den Eheleuten gilt. Haben die Eheleute keine andere Regelung getroffen, so gelten für sie die Regeln der «Errungenschaftsbeteiligung».

Bei dieser Abrechnung sind neben jenem der Heirat vor allem zwei Stichtage bzw. Zeitpunkte klar auseinanderzuhalten:

  • Worüber ist abzurechnen? Für die Frage, über welche Vermögenswerte überhaupt abzurechnen ist, ist der Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes entscheidend. Das ist der grundsätzlich der Tag, an dem das gemeinsame Scheidungsbegehren oder die Scheidungsklage dem Gericht eingereicht werden. Manchmal wird aber auch bereits im Eheschutzverfahren die sogenannte Gütertrennung vorgesehen. In diesem Fall richtet sich die Frage, über welche Vermögenswerte abzurechnen ist, nach dem Zeitpunkt der Gütertrennung.

Beispiel: Besitzt ein Ehegatte bei Einreichung des Scheidungsbegehrens 50 Aktien, dann sind diese 50 Aktien in die Abrechnung miteinzubeziehen. Kauft der Ehegatte dann während des Scheidungsverfahrens mit seinem Einkommen weitere Aktien, so bleiben diese bei der Abrechnung grundsätzlich unberücksichtigt.

  • Welcher Zeitpunkt ist für die Bewertung der abzurechnenden Vermögenswerte massgebend? Massgebend für die Bewertung der Vermögenswerte, über die abzurechnen ist, ist der Zeitpunkt des Endes des Scheidungsverfahrens, falls der jeweilige Vermögenswert in dieser Zeit einer Wertveränderung unterworfen sein kann (wie z.B. Aktien, Fahrzeuge, Liegenschaften, usw.). Bei Bankkonten wird jedoch auf den Vermögensstand im Zeitpunkt des Auflösung des Güterstandes abgestellt.

Beispiel: Die Aktien sind in der Vermögensabrechnung mit dem Wert einzusetzen, den sie beim Abschluss des Scheidungsverfahrens haben und nicht mit jenem Wert, den sie bei Einleitung des Scheidungsverfahrens hatten. Lag der Wert bei Einleitung des Scheidungsverfahrens bei gesamthaft CHF 50‘000.–, bei dessen Abschluss aber bei CHF 70‘000.–, so ist beispielsweise der letztgenannte Wert von CHF 70‘000.– in die Abrechnung einzusetzen.