Im vierten und letzten Teil unserer Blog-Serie (zu Teil 1: „Lebensprägung“zu Teil 2: einheitliche Berechnung des Kindesunterhalts; zu Teil 3: einheitliche Berechnung des Trennungs- und Scheidungsunterhalts) zur neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht analysieren wir deren Auswirkungen auf die Rechtsprechung im Kanton St. Gallen.

Unterhaltsrecht: Neue Praxis im Kanton St. Gallen

Was für Auswirkungen hat die jüngste bundesgerichtliche Rechtsprechung auf die Praxis der St. Galler Gericht bei der Berechnung von Unterhaltsbeiträgen?

Das Kantonsgericht St. Gallen hat die wichtigsten Eckpunkte seiner aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung teilweise angepassten Praxis in seinem Entscheid FO.2020.3 vom 23. Februar 2021 festgehalten:

  • Der Kindesunterhalt wird grundsätzlich nach der zweistufigen Methode mit Überschussverteilung berechnet.
  • Im Kinderunterhaltsrecht werden zur Bestimmung des Existenzminimums künftig die Richtlinien der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz vom 1. Juni 2009 angewendet und zwar auch rückwirkend auf den gesamten Sachverhalt. Bisher hat das Kantonsgericht auf sein „eigenes“ Kreisschreiben über die Berechnung des betreibungsrechtlichen Existenzminimums (Notbedarf) nach Art. 93 SchKG von November 2019 abgestellt.
  • Das Kantonsgericht St. Gallen verzichtet auf Zuschläge zum Grundbetrag. Bislang entsprach es der St. Galler Praxis, die (St. Galler) Grundbeträge um 20 Prozent zu erhöhen.
  • Das Kantonsgericht verzichtet darauf, im Bedarf der Kinder einen Steueranteil vorzusehen. Es hält dazu fest: „Angesichts des steuerrechtlichen Pauschalabzuges für Kinder von Fr. 10’200.00, wie er im Kanton St. Gallen zulässig ist, sowie der weiteren für den Kinderbedarf zulässigen Abzüge ist in der Regel nicht davon auszugehen, dass auf dem Barunterhalt Steuern in wesentlicher Höhe anfallen.“
  • Das Kantonsgericht verzichtet auf eine Vorabzuteilung eines Teilbetrages des Einkommens um einer überobligatorischen Erwerbstätigkeit des hauptbetreuenden Elternteils Rechnung zu tragen. Es trägt einer solchen überobligatorischen Erwerbstätigkeit im Rahmen einer gebündelten Ermessensbetätigung (bei der Überschussverteilung) Rechnung.
  • Der Kindesunterhalt wird in der Regel für die Zeit nach Erreichen der Volljährigkeit eines Kindes bis zum Abschluss der Erstausbildung festgesetzt und zwar auch dann, wenn das Kind noch nicht in Ausbildung steht.
  • Der Volljährigenunterhalt richtet sich nach den Lebenskosten. Dabei geht das Kantonsgericht im konkreten Fall davon aus, dass das Kind nach seiner Volljährigkeit entweder zusammen mit einem Elternteil oder mit anderen jungen Leuten einer Wohngemeinschaft wohnen werde und berücksichtigt als Grundbetrag entsprechend den halben Ehegatten-Grundbetrag von CHF 850.– im Bedarf.
  • Für den Volljährigenunterhalt kommen die Eltern proportional zu ihrer Leistungsfähigkeit auf.

Wir verfolgen für unsere Mandanten die bundesgerichtliche und die kantonale Rechtsprechung im Familienrecht und analysieren deren Auswirkungen stetig.

 

Dr. Mattias Dolder, Fachanwalt SAV Familienrecht