Gegenstand des bundesgerichtlichen Scheidungsverfahrens BGer 5A_1048/2019 war unter anderem ein Aktiendepot. Das Bundesgericht erinnerte in Erw. 3.2 zunächst daran, dass Errungenschaft und Eigengut jedes Ehegatten nach ihrem Bestand im Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes ausgeschieden werden (Art. 207 Abs. 1 ZGB), während sich die Bewertung der bei der Auflösung des Güterstandes vorhandenen Errungenschaft nach dem Wert im Zeitpunkt der Auseinandersetzung bestimmt (Art. 214 Abs. 1 ZGB). Für die Bewertung massgebend ist der Verkehrswert (Art. 211 ZGB). Als solcher gilt der „Wert, der bei einem Verkauf auf dem freien Markt realisierbar wäre“. Vorliegend ging es darum, ob der Verkehrswert von Aktien börsenkotierten Gesellschaften gerichtsnotorisch ist und mithin nicht behauptet bzw. bewiesen zu werden braucht (vgl. Erw. 3.5.2). Grundsätzlich gelten als offenkundig jene Tatsachen, „die allgemein, jedenfalls aber am Ort des Gerichts verbreitet bekannt sind“ (Erw. 3.6.1). Zur Beantwortung der Frage, ob dies auch für die Aktienkurse börsenkotierter Unternehmen gilt, verwies das Bundesgericht auf frühere Entscheide (Erw. 3.6.3 f.). Als gerichtsnotorisch sah das Bundesgericht beispielsweise folgende Informationen an:

  • LIBOR-Zinssatz
  • Lohnstrukturerhebungen
  • Zusammenstellung „Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens“ des Bundesamtes für Statistik
  • Dauer der Wochenarbeitszeit
  • Zinssatz von Bundesobligationen
  • Veröffentlichung eines Firmenwechsels im Schweizerischen Handelsamtsblatt
  • Handelsregistereinträge
  • Umrechnungskurse

Nicht gerichtsnotorisch sind nach bundesgerichtlicher Auffassung beispielsweise:

  • Offizielle Statistiken von Behörden ausländischer Staaten
  • Sich aus dem Betreibungsregister ergebende Tatsachen
  • Distanzen in Kilometern zwischen zwei Ortschaften
  • Benzinkosten pro gefahrenen Kilometer

Das Bundesgericht kommt schliesslich zum Ergebnis, dass Börsenkurse von Aktien nicht als gerichtsnotorisch gelten. Es begründet seinen Entscheid namentlich damit, dass Börsenkurse starken Schwankungen unterliegen, es mehrere Werte an einem Tag gibt (Tagesdurchschnitt, Höchstwert, Tiefstwert), Aktien an verschiedenen Börsen gehandelt werden können und es für den Börsenkurs mannigfaltige Quellen gebe, welche teilweise voneinander abweichende Werte ausweisen. Nur weil Aktienkurse im Internet abrufbar seien, seien sie nicht notorisch. „Es gälten grundsätzlich nur Informationen aus dem Internet als offenkundig, welchen aufgrund des Umstands, dass sie leicht zugänglich sind und aus verlässlichen Quellen stammen, ein offizieller Anstrich anhafte (z.B. Bundesamt für Statistik, Eintrag im Handelsregister, Wechselkurs, Fahrplan der SBB usw.; BGE 143 IV 380 E. 1.2).“ (Erw. 3.6.6).

Dr. Mattias Dolder, Fachanwalt SAV Familienrecht