Am 1. Januar 2025 treten die vom Parlament beschlossenen Änderungen der Zivilprozessordnung in Kraft. Einige der Änderungen werden auch für bereits hängige Gerichtsverfahren gelten (vgl. die Übergangsbestimmung von Art. 407f nZPO). Wir fassen die für Verfahren im Familienrecht wesentlichsten Änderungen in aller Kürze zusammen:
1. Für Scheidungen gilt neu: vereinfachtes statt ordentliches Verfahren
Musste ein Scheidungsverfahren (nach einer erfolglosen Einigungsverhandlung im Anschluss an eine Scheidungsklage oder nach einer erfolglosen Anhörung im Anschluss an ein gemeinsames Scheidungsbegehren) strittig fortgesetzt werden, so galt dafür bislang das sogenannte ordentliche Verfahren. Neu gilt in beiden Fällen das sogenannte „vereinfachte Verfahren“ (vgl. Art. 288 Abs. 2 2. Satz und Art. 291 Abs. 3 3. Satz nZPO), welches in den Art. 243 ff. nZPO geregelt ist. Dieses zeichnet sich – wie der Name bereits sagt – im Vergleich zum ordentlichen Verfahren durch verschiedene Vereinfachungen aus.
2. Für sämtliche selbständigen Klagen in Kinderbelangen gilt: Vereinfachtes Verfahren mit Untersuchungs- und Offizialgrundsatz
Art. 295f. nZPO stellen klar, dass für sämtliche selbständigen Klagen in Kinderbelangen das vereinfachte Verfahren mit Untersuchungs- und Offizialgrundsatz zur Anwendung gelangt und zwar unabhängig vom Alter des Kindes (also auch für Verfahren betreffend Volljährigenunterhalt) und dem Streitwert.
3. Schlichtungsverfahren entfällt
Für sämtliche Klagen über den Kindesunterhalt (also auch für Verfahren betreffend Volljährigenunterhalt) und weiterer Kinderbelange entfällt ein vorgängiges Schlichtungsverfahren. Bisher entfiel das Schlichtungsverfahren nur, wenn vorgängig die KESB um Vermittlung angerufen worden war (Art. 198 lit. bbis nZPO).
4. „Dreiparteienverfahren zwischen Mutter, Vater und Kind“
Erhebt ein Kind unverheirateter Eltern, gesetzlich durch einen Elternteil vertreten, eine Unterhaltsklage gegen den anderen Elternteil, so hat das Gericht nach Art. 304 Abs. 2 ZPO auch über weitere Kinderbelange, wie die elterliche Sorge, Obhut oder Betreuung, zu entscheiden. Neu hält Art. 304 Abs. 2 nZPO fest, dass den Eltern in solchen Fällen (vorausgesetzt, das Kindesverhältnis steht fest) stets Parteistellung zukommt. Das Gericht kann die Parteirollen verteilen.
5. Verhandlungen mittels Videokonferenz
Das Gericht kann mündliche Prozesshandlungen, wie Verhandlungen, auf Antrag oder von sich aus mittels elektronischer Mittel zur Ton- und Bildübertragung, insbesondere mittels Videokonferenz, durchführen. Voraussetzung ist allerdings, dass sämtliche Parteien damit einverstanden sind (vgl. Art. 141a Abs.1 und 2 nZPO).
6. „Nachfrist“ zur Bezifferung unbezifferter Forderungsklagen
Neu hat das Gericht einer Partei, die eine unbezifferte Forderungsklage eingereicht hat (weil sie z.B. ihre güterrechtlichen Ansprüche erst nach Vorliegen einer Grundstückschätzung beziffern kann) nach Abschluss des Beweisverfahrens bzw. der Auskunftserteilung (durch die Gegenpartei bzw. Dritte) ausdrücklich eine Frist zur Bezifferung ihrer Klage anzusetzen (Art. 85 Abs. 2 nZPO).
7. Replikrecht
Art. 53 Abs. 3 nZPO hält das bereits bisher geltende „ewige Replikrecht“ ausdrücklich fest. Die neue Bestimmung sieht vor, dass eine Partei innert einer ihr vom Gericht einzuräumenden Frist von jeweils mindestens zehn Tagen zu sämtlichen Eingaben der Gegenpartei Stellung nehmen darf.
8. Noven
Die Regelungen betreffend Noven in den Art. 229 nZPO (für das vereinfachte Verfahren gemäss Art. 219 nZPO sinngemäss anwendbar) und Art. 317 nZPO wurden überarbeitet. Mit Art. 317 Abs. 1bis nZPO hält die Zivilprozessordnung neu ausdrücklich fest, dass das Berufungsgericht in Verfahren mit uneingeschränkter Untersuchungsmaxime neue Tatsachen und Beweismittel bis zur Urteilsberatung berücksichtigt.
9. Berufung im summarischen Verfahren: Längere Fristen und Zulässigkeit der Anschlussberufung
Neu beträgt gegen einen im summarischen Verfahren ergangenen Entscheid (z.B. Eheschutzurteil) die Frist zur Einreichung der Berufung und der Berufungsantwort 30 Tage (statt wie bisher nur 10 Tage; vgl. Art. 314 Abs. 2 nZPO). Ausserdem ist neu die Anschlussberufung in solchen Rechtsmittelverfahren zulässig (Art. 314 Abs. 2 nZPO). Art. 318 Abs. 2 i.V.m. Art. 239 Abs. 1 nZPO sehen vor, dass das Berufungsgericht seinen Entscheid in der Regel ohne schriftliche Begründung eröffnet. Eine solche ist auf Antrag einer Partei nachzuliefern.
10. Vollstreckbarkeit unbegründet eröffneter Entscheide
Eine Berufung gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen (und Eheschutzentscheide) hatte bereits heute keine aufschiebende Wirkung. Das bleibt so (Art. 315 Abs. 2 lit. b nZPO). Art. 315 Abs. 4 lit. b nZPO hält aber ausdrücklich fest, dass in diesen Fällen die Rechtsmittelinstanz die Vollstreckbarkeit unter gewissen Umständen ausnahmsweise aufschieben kann, wobei die Rechtsmittelinstanz bereits vor der Befassung mit der Berufung über ein entsprechendes Gesuch entscheiden kann. In der Lehre wird die Auffassung vertreten, dass ein solches Gesuch bereits vor Eröffnung des schriftlich begründeten Entscheides gestellt und von der Rechtsmittelinstanz beurteilt werden kann (vgl. Art. 336 Abs. 1 und 3 nZPO i.V. Art. 315 Abs. 4 lit. b nZPO; Mordasini/Boog, Ausgewählte Fragen zu den familienrechtlichen Verfahren und zum Rechtsmittelverfahren nach revidierter ZPO, BJM 2024, 10).
Dr. iur. Mattias Dolder, 11.08.2024
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