1. Frage

In unserem Blog vom 20. Januar 2019 haben wir die Frage gestellt, ob es für die Dauer des Scheidungsurteils einen sogenannten „vorsorglichen Vorsorgeunterhalt“ braucht um eine Vorsorgelücke während des Scheidungsverfahrens zu vermeiden:

Es ging darum, dass sowohl vor als auch nach der Scheidung grundsätzlich eine Teilung bzw. ein Ausgleich der Vorsorgeguthaben zwischen den Ehegatten stattfindet, nicht aber während des Scheidungsverfahrens. So müssen Pensionskassenguthaben, die ein Ehegatte während des Scheidungsverfahrens angespart, nicht mehr geteilt werden. Das führt beim Ehegatten mit keiner oder einer tieferen beruflichen Vorsorge zu einer „Vorsorgelücke“.

2. Antwort des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hat nun in seinem Entscheid 5A_14/2019 vom 9. April 2019 entschieden, dass diese „Lücke“ hinzunehmen sei. Kurz zusammengefasst kommt es zum Schluss, dass sich die Mehrheit der Parlamentarier und Parlamentarierinnen bei der Neuregelung des Vorsorgeausgleichs im Schweizerischen Zivilgesetzbuch dieser beschriebenen „Vorsorgelücke“ bewusst gewesen seien. Sie entsprechende demnach dem Willen des Gesetzgebers. Mit anderen Worten: Die „Vorsorgelücke“ sei gewollt und stelle keine Gesetzeslücke dar.

Das Bundesgericht lehnt es sodann auch ab, die „Vorsorgelücke“ gestützt auf die Normen von Art. 163 und Art. 164 ZGB zu schliessen. Diese beiden Gesetzesbestimmungen regeln den ehelichen Unterhalt, also den Unterhalt, der bis zu einer Scheidung zu zahlen ist. Gemäss Bundesgericht sei es unzulässig, Art. 163 und Art. 164 ZGB so zu interpretieren,  dass der eheliche Unterhalt nebst dem Verbrauchsunterhalt neu auch einen Vorsorgeunterhalt mitumfasse. Hierzu fällt – ohne dies werten zu wollen – zweierlei auf:

  • Art. 164 Abs. 2 ZGB enthält selber einen Hinweis auf die Vorsorge. Er lautet: „Bei der Festsetzung des Betrages sind eigene Einkünfte des berechtigten Ehegatten und eine verantwortungsbewusste Vorsorge für Familie, Beruf oder Gewerbe zu berücksichtigen.“
  • Bislang waren die Vorsorge im Rahmen von Art. 163 ZGB und der erwähnte Hinweis auf die Vorsorge in Art. 164 Abs. 2 ZGB wohl gerade deshalb in der Praxis jeweils kein Thema, weil die Vorsorge bis zum Ende der Scheidung im Rahmen des Vorsorgeausgleichs ohnehin geteilt wurde. Man hätte sonst die Vorsorge quasi zwei Mal geteilt, einmal via Vorsorgeausgleich bei der Scheidung und einmal via (ehelichen) Unterhalt. Nach der am 1. Januar 2017 in Kraft getretenen Gesetzesrevision wird nun für die Dauer des Scheidungsverfahrens gemäss dem jüngsten Bundesgerichtsentscheid gar nicht mehr geteilt.

3. Konsequenz der Antwort des Bundesgerichts:

  • Während der Ehe bis zur Einleitung des Scheidungsverfahrens wird die Vorsorge im Rahmen des Vorsorgeausgleichs hälftig geteilt.
  • Für die Zeit nach der Scheidung deckt der Vorsorgeunterhalt allfällige ehebedingte Nachteile eines Ehegatten beim Vorsorgesparen ab (z.B. wenn ein Ehegatte aufgrund der Kinderbetreuung nach der Scheidung nur mit einem reduzierten Pensum berufstätig sein kann und deshalb über keine oder nur eine eingeschränktere berufliche Vorsorge verfügt).
  • Während des Scheidungsverfahrens findet kein Ausgleich der beruflichen Vorsorge statt.

Ob ein solches Ergebnis sachgerecht ist, lässt sich zumindest diskutieren. In der Praxis werden denn auch verschiedene Wege zur „Nachfinanzierung“ dieser Vorsorgelücke besprochen:

Wir beobachten die Entwicklung in Literatur und Rechtsprechung für unsere Mandanten.

 

[überarbeitet am 29.8.2019]